IKF-News Juni 2016
Führen oder managen?

Gerade in letzter Zeit sind im Zuge negativer wirtschaftlicher Entwicklungen häufig Managementfehler für Insolvenzen verantwortlich gemacht worden. Nicht zuletzt dadurch erlangte der Begriff Management im Unterschied zum Begriff Leadership je länger je mehr eine negative Konnotation. Die beliebte Frage «Führen Sie schon oder managen Sie nur?» impliziert, dass Management und Leadership oft in einem Schwarz-Weiss-Denken gegenübergestellt werden. Weshalb wird ein potentieller, synergetischer Grau-Bereich zwischen den beiden Terminologien kaum thematisiert?

In nachfolgendem Interview erläutert IKF-Studienleiter Dietmar Treichel, inwiefern das eine nicht ohne das andere auskommt – je länger, je weniger.

IKF: Wird Management heutzutage zu recht häufig negativ konnotiert? 
Dietmar Treichel: Es ist ein altes Verständnis, welches dazu führt, dass Management für neue Probleme verantwortlich gemacht wird. Management wurde erstens für komplizierte Zusammenhänge konzipiert, die Methoden eignen sich für stabile, gutvorhersehbare Situationen. Heutige Situationen sind aber nicht mehr kompliziert, sondern komplex. Vieles ist miteinander vernetzt und von einer internen Dynamik gekennzeichnet - dafür ist Management nicht gedacht. Während sich Management, nicht zuletzt aufgrund des Zeitdrucks im Tagesgeschäft, am liebsten mit der Gegenwart und unmittelbarer Zukunft beschäftigt, ist der längerfristige Zeithorizont zur Lösung von komplexen Insolvenzen dafür eher ungeeignet. Zweitens hat man stets versucht, Manager rein sachlich, zum Beispiel über Boni, zu motivieren. Diese Art von Motivation brachte insofern negative Konsequenzen mit sich, dass die Manager automatisch und unbewusst je länger je risikofreudiger wurden. 

Der negative Beigeschmack des Begriffs Management ist demnach nicht fair. Viel eher könnte man sagen, dass sich Management einfach nicht entsprechend weiterentwickelt und der Gegenwart adaptiert hat.
 

IKF: Was ist der Unterschied von Management und Leadership? 
Dietmar Treichel: Management ist sachlich, problemorientiert und hat Effizienz als Devise. Bei Leadership geht es vermehrt um den Mensch als Ressource, die man braucht, um etwas zu gestalten, was man alleine nicht kann. Leadership ist nicht problem- sondern lösungsorientiert. Wie kann man die Zukunft möglichst optimal gestalten? Wie können wir die grösste Wirkung entfalten? Somit geht es bei Leadership im Unterschied zu Management nicht um Effizienz, sondern um Effektivität. 

IKF: Was ist der Ursprung von diesen beiden Terminologien? Welche Konsequenzen sind damit verbunden? 
Dietmar Treichel: Anfangs des 20. Jahrhunderts kamen Unternehmen wie General Motors zum Entschluss, dass sie Verwaltungsleute brauchen, damit ihr kompliziertes System am Laufen bleibt. Das veranschaulicht auch, weshalb „to manage“ übersetzt nicht etwa führen, sondern verwalten bedeutet. Kein Wunder heisst der MBA Master of Business Administration und handelt es sich bei den Management-Methoden eher um Verwaltungsmethoden. Mit diesem Hintergrund könnte man von Managern gar nicht erwarten, dass sie nachhaltige Entscheidungen treffen.

Der Begriff „to lead“ hat seinen terminologischen Ursprung beim Steuern eines Wikingerschiffs. Die Person, die am Ruder steht, ist nicht etwa erhöht, weil sie besser ist, sondern weil sie von der Funktion her weiter schauen können muss. An Land wird der Rudermann eventuell auch von jemand anderem abgelöst. Dieses Bild veranschaulicht, dass Leadership zwar viel mit Kompetenz und gemeinsamer Anstrengung aber nur sehr wenig mit Hierarchie zu tun hat. 


IKF: Ist Management eine Teilmenge von Leadership oder umgekehrt? 
Dietmar Treichel: Weder das eine noch das andere ist eine Teilmenge von etwas. Vielmehr handelt es sich um zwei Seiten derselben Medaille. Damit das ökonomische System nicht nur kurzfristig gut funktioniert, sondern auch nachhaltig überleben kann, braucht es beides. Während Leadership und Management auf unterschiedlichen Methoden und Haltungen beruhen, müssen sie in der Organisation zusammenkommen. Da sie das in der Praxis nur viel zu selten tun, haben wir es hier mit einer der grössten Herausforderungen heutiger Organisationen zu tun. 

IKF: Die Begriffe Manager/Management sind verwandt mit «managen». Leadership wird terminologisch ausgeschlossen. Zudem gibt es nur den Manager, nicht jedoch den Leader als fixe Berufsbezeichnung. Sind diese Begrifflichkeiten und Bezeichnungen noch zeitgemäss?
Dietmar Treichel: Es ist wichtig, unterscheiden zu können, dass es sich bei Management um eine Funktionsbezeichnung und bei Leadership um eine Kompetenz handelt. Demnach bedarf es nach wie vor dem Manager als Berufsbezeichnung und Leadership als eine in jeder Ebene und dynamisch vernetzt allgegenwärtige, wirkungsvolle, persönliche und organisatorische Kompetenz.

IKF: Wie könnten Synergien zwischen Management und Leadership aussehen? 
Dietmar Treichel: Manager sollten in der Lage sein, nicht nur im rein Sachlichen und Ist-Bezogenen zu verharren, sondern auch auf Menschen und deren Ressourcen einzugehen und nachhaltig zu denken. Gleichzeitig sollten aber auch im Leadership Wirkungen ökonomisch berechnet werden und Unsicherheiten in Sicherheiten überführt werden können. 

IKF: Management-Aus- und Weiterbildungen sind allgegenwärtig. Sind Leadership-Aus- und Weiterbildungen insofern gewissermassen eine Marktlücke? 
Dietmar Treichel: Ich würde das nicht als Markt- sondern als Kompetenzlücke bezeichnen. Leadership ist in den meisten MBA ein Nebenfach. Das IKF behandelt nicht nur Management, sondern auch Leadership als Hauptfach – je nach individueller Präferenz.  

IKF: Können Sie dies erläutern?  
Dietmar Treichel: Der CAS Personal Leadership vermittelt praktische Führungstechniken für das gemeinsame Erreichen von nachhaltig positiven Ergebnissen. Beim neuen CAS Strategic Leadership werden nachhaltige Leadership-Umsetzung, systemisches Denken, Kommunikation und Kultur handlungsorientiert miteinander kombiniert und mit einem persönlichen Coaching angereichert. Zudem wird auch mit den CAS Innovative Projekte & Teams führen und CAS Organisationsentwicklung & Change Leadership (beide in Präsenz- und Individualform) versucht, der immer mehr steigenden Bedeutung von Leadership gerecht zu werden. 
Wer sich nach wie vor ganz spezifisch für Management-Methoden interessiert, der kann sich diese im Rahmen des Individualkurses Online CAS Management-Strategien & -Methoden, bewusst auf den jeweiligen, individuellen Berufskontext angewendet, aneignen. 


IKF: Ist Management und Leadership überhaupt lernbar? Hat das nicht grösstenteils mit (angeborenem) Charakter / Persönlichkeit zu tun? 
Dietmar Treichel: Bereits der Leadership-Guru Warren Bennis hat empirisch beweisen: Leadership ist lernbar. Man muss nur lernen, es in der eigenen Art und Weise umzusetzen, die eigenen Stärken optimal zu aktivieren. 

IKF: Gibt es Persönlichkeiten, die eher fürs «Managen» und andere, die eher fürs «Führen» geeignet sind? 
Dietmar Treichel: Nicht selten wird ein guter Sachbearbeiter zu einem schlechten Chef befördert. Sicherlich gibt es unterschiedliche Talente. Es gibt Menschen, die für effiziente Prozessoptimierungen, Zahlen und somit Management besser geeignet sind als andere, die sich dafür aber für komplexe Zusammenhänge, die Erarbeitung komplett neuer Geschäftsmodelle und menschliches Potential sehr interessieren. Nichtsdestotrotz wird es je länger je wichtiger, als Führungsperson ganzheitlicher zu fungieren und beides zu können. Solche Leute braucht die Zukunft.  

IKF: Manager/in 2030: Wie ist er/sie anders als heute? 
Dietmar Treichel: Diejenigen Unternehmen, die rechtzeitig erkennen, dass es im Kontext der Komplexität der Gegenwart und Zukunft unabdingbar ist, Leadership und Management gezielt zu kombinieren, werden sehr schnelle Effekte erzielen können.
Zudem wird es 2030 tatsächlich viel mehr Frauen in den Führungsetagen geben als heute. Aufgrund ihrer Ganzheitlichkeit im Denken und Handeln sind weibliche Führungspersonen eine brachliegende Ressource für künftiges Leadership. 


IKF: Digitalisierung und Globalisierung sind allgegenwärtig. Inwiefern nimmt das IKF in seinen Management- und Leadership-Weiterbildungen Bezug darauf? 
Dietmar Treichel: Im CAS Innovative Projekte & Teams führen gibt es neu beispielsweise das Modul «virtuelle Teams führen». Zudem wird stets versucht, durch die Interaktion und Dynamiken in den Kursen die Komplexität der Praxis pädagogisch einzubetten. Insgesamt fliessen Globalisierungs- und Digitalisierungsaspekte in sämtliche unsere CAS ein, die Leadership und Management direkt oder indirekt behandeln: CAS Innovative Projekte & Teams führen, CAS Personal Leadership, CAS Organisationsentwicklung & Change Leadership, CAS Strategic Leadership, Online CAS Management-Strategien & -Methoden, CAS Social Media für KMU & Management von Wissensnetzwerken, CAS Wissensmanagement, CAS eLearning, CAS eHealth - Gesundheit digital, Online CAS eGovernment etc. 

IKF: Welche Konsequenzen haben diese beiden Gesellschafts-Tendenzen konkret auf das Management und Leadership der Gegenwart/Zukunft? 
Dietmar Treichel: Je digitalisierter und globaler die Welt, desto mehr müssen Manager lernen, in dynamischen Zusammenhängen und Rückkopplungseffekten zu denken. Im Leadership wiederum führen diese Tendenzen dazu, dass man dem Gegenüber nicht mehr immer direkt in die Augen schauen kann. Man muss lernen, auch über Distanz zu führen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl Management als auch Leadership neue Funktionen brauchen. 

IKF: Vielen Dank für das spannende Gespräch! 


Auch die IKF-Studienleiter David Krieger und Andréa Belliger aus den Bereichen Social Media, Wissensmanagement, eLearning, eGovernment und eHealth sind der Meinung, dass Management-Annahmen und Praktiken, die sich in der industriellen Ära bewährt haben, heutzutage nicht mehr effizient sind. Nicht zuletzt haben auch das Paradox des gleichzeitigen Anspruchs, vernetzt und dennoch individuell zu sein, sowie die ansteigende Bedeutung der Partizipation der Mitarbeiter und Stakeholder grosse Auswirkungen auf Leadership und Management. 

Mehr zum Thema Leadership und Management im Zeitalter der Digitalisierung ist in nachfolgendem Kapitel innerhalb des neuen Buches von Andréa Belliger und David Krieger «Organizing Networks. An Actor-Network Theory of Organizations.» zu lesen: Organizing and Management in the Digital Age.
Institut für Kommunikation & Führung IKF
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