IKF-News März 2014
Schulz von Thun und die Hamburger Kommunikationspsychologie

Professor Friedemann Schulz von Thun und die Hamburger Kommunikationspsychologie - Eine kleine Geschichte

Friedemann Schulz von Thuns beruflicher Werdegang ist durch zwei parallele Wege gekennzeichnet. Der wissenschaftliche Weg führte zur Professur für Pädagogische Psychologie in Hamburg (1976 – 2009). Der praktische Weg bestand in der Konzeption und Durchführung von Kommunikationstrainings für Lehrer und Führungskräfte, später für Angehörige aller Berufsgruppen (1971 bis heute).

Anfangs gingen der Professor (Theorie, Forschung, Wissen) und der Trainer (Praxis, Anwendung, Können) getrennte Wege, aber nach und nach taten sie sich zusammen. So entstand eine anwendungsfreudige und lebensnahe Kommunikationspsychologie auf der Grundlage von Modellen und Methoden.

Die Kommunikationspsychologie nach Schulz von Thun hatte ursprünglich mehrere Inspirationsquellen. Anfangs die Sprachpsychologie Karl Bühlers und die Kommunikationstheorie Paul Watzlawicks, sodann mehr und mehr die Humanistische Psychologie. Erkenntnisse von Carl Rogers über die Bedingungen zwischenmenschlicher Kommunikation, die eine heilsame Entwicklung der Persönlichkeit befördert, sind auch von Anfang an integriert. Die Schulz von Thun’sche Kommunikationspsychologie wurde zuerst im Rowohlt-Taschenbuch „Miteinander reden – Störungen und Klärungen“(1981) veröffentlicht, und in Gestalt des „Kommunikationsquadrates“ mit seinen „vier Schnäbeln“ und „vier Ohren“ weltbekannt. Dieses Buch und dieses Modell gelten heute als Klassiker, mit einer Auflage von 1,3 Millionen und mit grosser Verbreitung in der beruflichen Weiterbildung, in Schulen und Hochschulen. Entstanden war diese Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation ursprünglich Anfang der siebziger Jahre im Rahmen von Trainingskursen für Führungskräfte der Deutschen BP.

Eine weitere Lehrzeit bei Ruth Cohn (1912 – 2010) begann 1977 in der Schweiz. Das hatte einen zweifachen Einfluss auf die Kommunikationspsychologie: zum einen die Erkenntnis, dass gute Kommunikation einen guten Zugang zum „inneren Menschen“ erfordert und dass Authentizität die Frucht einer gelungenen Selbstklärung ist. Aus dem Kommunikationstrainer Schulz von Thun wurde damit zunehmend auch ein Selbstklärungshelfer. Zum zweiten die Bedeutung einer guten Gruppenleitung, die ein virtuoses Zusammenspiel von „Thema“ (Es), „Einzelner“ (Ich) und „Gruppe“ (Wir) moderiert. So kann eine tragende Atmosphäre von Offenheit, Lebendigkeit und Unterstützung entstehen.

Schulz von Thun wurde auch durch eine jahrzehntelange Zusammenarbeit und Freundschaft mit Christoph Thomann (Bern) geprägt, der die Persönlichkeitstheorie von Fritz Riemann („Grundformen der Angst“) nutzte, um die Paardynamik zu erhellen und den Beteiligten zu erklären; das Riemann-Thomann-Modell ist inzwischen weit verbreitet. Daraus erwuchs 1988 der erste Band der „Klärungshilfe“, dem Handbuch für Konfliktmoderatoren. Diese Methode erlangte massgeblichen Einfluss auf die Mediationsbewegung im deutschsprachigen Raum. Sie wurde von Thomann später weiterentwickelt: Band 2 und 3 erschienen 1998 und 2007.

Dadurch inspiriert erschien 1989 der Band 2 von „Miteinander reden“. Hier werden die menschlichen Unterschiede ins Auge gefasst und acht Kommunikationsstile unterschieden. Dieser Band führt zwei wichtige Innovationen in die Kommunikationspsychologie ein. Zum einen baut Schulz von Thun das „Wertequadrat“ von Helwig zu einem „Entwicklungsquadrat“ aus. Je nach vorhandenem Potential kann damit die individuelle Entwicklungsrichtung genauer bestimmt werden (Was der eine zur Erweiterung seiner Persönlichkeit dringend braucht, hat vielleicht der andere schon „des Guten zu viel“). Zum zweiten wird der humanistischen Perspektive (Entwicklung des Individuums hin zur Selbstverwirklichung) eine systemische Perspektive zur Seite gestellt: Es können beziehungsspezifische „Teufelskreise“ entstehen. Erstmalig wurden mit diesem Modell Verhaltensweisen und innere Reaktionen sichtbar verknüpft.

Das war der Anbeginn eines Versuches, das humanistische und das systemische Denken miteinander zu verbinden. Der innere Mensch ist auch ein Systemresultat, insofern mehrere „Seelen in seiner Brust“ wohnen, welche miteinander (und gegeneinander) eine gruppendynamische Spannung aufbauen. Die Erkenntnis, dass Kommunikation stark von dieser „inneren Pluralität“ bestimmt ist und dass gute Kommunikation die Frucht einer gelungenen Integration dieser Mit- und Gegenspieler ist, führte 1998 zum Band 3 von “Miteinander reden: Das Innere Team“. In diesem Band wird nun auch die Lehre von der „Stimmigkeit“ der Kommunikation ausgearbeitet. Stimmige Kommunikation heisst: wesensgemäss und situationsgerecht! Sei also in zweifacher Übereinstimmung – erstens mit dir selbst (selbstkongruent oder authentisch, aber Achtung: Du bist mit dir selbst nicht ein Herz und eine Seele, der innerlich zerstrittene Haufen muss erst noch zum Inneren Team werden!) und zweitens mit „der Wahrheit der Situation“. 

Damit hat Schulz von Thun sechs Modelle entwickelt bzw. aufgegriffen, die die Kommunikationspsychologie seitdem wissenschaftlich und praktisch geprägt haben: Kommunikationsquadrat, Riemann-Thomann, Werte- und Entwicklungsquadrat, Teufelskreis, Inneres Team und Situationsmodell.

Anfang der neunziger Jahre war die „Hamburger Kommunikationspsychologie“, wie sie auch genannt wurde, so weit ausgereift, dass Schulz von Thun sie auch ausserhalb der Universität anbieten wollte. Dafür brauchte er gute Referenten und Trainer, die er überwiegend bei seinen ehemaligen Studierenden fand. Etwa 25 Lehrtrainer arbeiten heute für das Schulz von Thun-Institut. Die Kursbausteine bestehen aus verständlichen und hervorragend visualisierten Vorträgen, Übungen, erlebnisaktivierenden Coachings in Gruppen sowie einer begleitenden Reflexion des Prozessgeschehens im Geiste von TZI. Immer geht es um die gute Verbindung von professioneller und menschlicher Entwicklung. 

2012 würdigte die Universität St. Gallen Prof. Schulz von Thun „als einen herausragenden Kommunikationsforscher, einen Autor mit Millionenauflage und eine Persönlichkeit, die sich in besonderer Weise um den Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis verdient gemacht hat” mit dem Titel: Ehrendoktor – Dr.oec.h.c. (Doktor der Wirtschaftswissenschaften ehrenhalber).

Ein Artikel von:
Prof. Dr. Dietmar Treichel MA MBA & Prof. Friedmann Schulz von Thun
14.03.2014
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